Blogger Marcel Schlegel und Reisefilmer Marko Roth waren mit einem kleinen Team in Nepal und haben dort in einem Homestay übernachtet. Hierbei konnten sie die Menschen und deren alltägliches Leben besonders intensiv kennenlernen. Aus Nepal mitgebracht haben sie dieses großartige Video und viele besondere Momente und Erfahrungen. Danke an Marcel (Text) und Marko (Video und Fotos) für den tollen Gastbeitrag!
Als wir im „Barauli Homestay“ ankommen, ist es zappenduster. Vereinzelt flackern kleine Lampen an den aus trockenem Kot gebauten Hütten, die die Namen der Familien im Dorf tragen. Ihr Schimmern offenbart einen faden Blick auf die Reisfelder und den Dschungel, die das Dorf umgeben. Im Schutze der Dunkelheit wirken sie unendlich. Aus den Reisfeldern summen die Heuschrecken monoton ihren zischenden Sound. Irgendwann hört man das nicht mehr. Irgendwann klingt es wie Musik, die Musik der Natur.
Strom gibt es hier draußen im südlichen Westen Nepals immer nur für ein paar Stunden. Wann, das weiß niemand so genau. Und wenn nach einer kleinen Durststrecke dann die Lampen wieder flimmern oder der Ventilator die Hitze vertreibt, kann das einen leicht verwöhnten Europäern schon mal zum Jubeln bringen – wie wenn sich Nepals lebende Göttin Kumari ihrem Volk zeigt. Das macht das Mädchen einmal im Jahr. Energie fließt hier jeden Tag für ein paar Stunden. Immerhin. Oder – je nachdem, was der Reisende in Nepal sucht: Gott sei Dank. Smartphone eingesteckt, Kamera-Akkus geladen und jawohl, das Licht geht wieder! Die Einheimischen nehmen das lockerer. Dass die Steckdosen nur dann Strom ausspucken, wann ihnen danach ist, schert sie so wenig wie das durchweg kalte Wasser, das aus der Dorf-Dusche kommt.
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„Nepal ist ein armes Land. Wir müssen Energie sparen“, sagt Buddhi, unser Guide, als sich Marko durch sein zerzaustes Haar fährt und die Backen aufbläst. Sein Rucksack wiegt schwer. Die sechs Stunden Autofahrt von Kathmandu in die kleine Kommune der Tharu haben Spuren hinterlassen. Unser Fahrer, ein Bewohner des Dorfes, grinst, als er uns beim Ausladen des Kamera-Equipments hilft. „Er wird heute zufrieden zu Bett gehen“, erklärt Buddhi. Auch der Sprit ist dieser Tage nämlich knapp im Geburtsland des Buddhas. Entsprechend nervös habe der Fahrer bisweilen auf die Tankanzeige seines Kleinbuses geschaut. „Er ist froh, dass er auf der Fahrt einen Ort gefunden hat, an dem es noch Sprit gab“, weiß Buddhi. Ich war froh, dass wir den Höllenritt – mit all den waghalsigen Überhol- und Ausweichmanöver – überlebt haben. Verkehrsschilder sucht man auf den mit Schlaglöchern übersäten Straßen Nepals offenbar so vergeblich wie Verkehrsregeln. Doch der nervöse Blick auf die Straße hatte schon bald der herrlichen Natur, den Bergketten, den Tälern, mit ihren strömenden Flüssen, ihren grün strahlenden Reisterrassen und den bunten Dörfern, die wir durchfahren haben, weichen sollen.
Als wir uns von Kathmandu aus aufgemacht hatten, hatten stehende Kolonnen von Bussen und alten Autos die ohnehin vielbefahrene Straße abermals verengt. Hier müsse es wohl Benzin geben, hatte Buddhi vermutet. „Sie warten darauf.“ Wie lange, fragten wir. „Ein paar Stunden, manchmal Tage“, antwortete er.
Wenn man an Nepal denkt, hat man das Himalaya-Gebirge, den Mount Everest und Buddha-Statuen vor Augen. Zwangsläufig schießen einem aber auch die Schäden des Erdbebens vom Mai 2015 in den Kopf. Rund 7000 Menschen starben in den Trümmern. Andere Quellen sprechen von 9000 Toten. Die Medien waren voll mit entsprechenden Schlagzeilen. Nepal – das Land, das seit dem Erdbeben am Boden ist. Doch tatsächlich ist in Kathmandu gar nicht so viel von den Folgen der Erderschütterung zu sehen. Der medial vermittelte Eindruck bleibt dennoch bestehen. Ob er ein Abbild der Realität ist – schwer zu beurteilen.
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Nepal – ein von der Natur, die es doch auszumachen schien, verwüstetest Land, ohne Strom und ohne Benzin, das wollten wir in unserem Film also darstellen? Wir, das ist ein kleines Team um den Frankfurter Reisefilmer Marko Roth, zudem neben mir ferner noch Linda Ambrosius (Stuttgart) und Lennart Lahrs (Frankfurt) gehörten. Zumal die ehemalige Monarchie, die sich 2008 zur Bundesrepublik erklärt und damit der Demokratie die Pforten geöffnet hat, noch mit weiteren Problemen kämpft: Als wir in Nepal ankommen, hat Indien, der vormals große Bruder, gerade die Grenzen dicht gemacht. Ein Land wie Nepal, das nahezu keine Industrie aufzuweisen hat, trifft eine solche Blockade mitten ins Mark. „90 Prozent unserer Waren kommen aus Indien“, schätzt Buddhi. „Doch Indien will nicht, dass wir eine eigene Regierung haben. Indien will uns kontrollieren wie eine Kolonie. Und wir haben keine Wahl.“ Nur sukzessive lassen die Inder die Tanklaster ins Nachbarland. Schikane, nennt dies Buddhi. Mittlerweile sind die Grenzen wieder offen. Nepal erholt sich – der große Bruder nimmt, der große Bruder gibt. Auf alle Fälle will er den kleinen Nachbarn erziehen.
Mein Kumpel Marko Roth ist ein 21-jähriger Reisefilmer aus Frankfurt, der sich in Kennerkreisen unter anderem mit seinen Film-Portraits über den Oman oder Südafrika einen Namen gemacht hat. Im Rahmen unseres Trips nach Bhutan und Nepal entstand ebenfalls ein solches Ding.
for that moment in Bhutan and Nepal. Von Marko Roth on Vimeo.
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Buddhi ist einer von rund sieben Millionen Tharu, einem der 13 großen Stämme, unter denen sich die 27,5 Millionen Nepalesen versammeln. Er ist 31 Jahre alt, verheiratet, hat lichtes Haar und immer ein Lächeln auf den Lippen. Buddhi arbeitet seit sieben Jahren für eine Tourismus-Agentur. Er hat studiert, er spricht Englisch, das kommt ihm zugute. Aufgrund des Studiums zog er in die Großstadt, nach Kathmandu. Doch das vogelwilde Treiben in Nepals Hauptstadt ist nicht die Sache des fröhlichen Mannes. „Für mich stehen immer die Familie und die Natur an erster Stelle“, sagt er. Auch deshalb freut es Buddhi, dass er seinen Freunden, Bekannten und Verwandten vor ziemlich genau einem Jahr stolz berichten konnte, dass das Homestay-Projekt umgesetzt wird. Buddhi selbst war einer der Ideengeber. Er ist sich sicher, dass es der Barauli-Gemeinde bald schon besser gehen wird – gerade wirtschaftlich.
Das Barauli Homestay ist eines von zahlreichen gleichartigen Tourismus-Projekten, die in Nepal im Speziellen und Asien im Allgemeinen in den letzten Jahren ins Leben gerufen wurden. Hier leben Abenteuerlustige im Dorf der Einheimischen, in deren Hütten. Sie essen deren Speisen, gehen mit den „Natives“ auf Safari, laufen durch das Dorf und erleben deren Alltag der „Locals“ so hautnah. Buddhi sieht darin eine Win-Win-Situation: Die Reisenden bekämen so Einblicke in die Kultur eines Landes wie sie kein Reiseführer geben könne. „Diese Menschen haben mehr zu erzählen als die Touristen-Führer“, sagt er passend. Und die in spartanischen Verhältnissen lebenden Tharu, die sich selbst als „Menschen des Waldes“ bezeichnen und in ihren Dörfern entsprechend weitgehend abgeschirmt von den touristischen Spots leben, bekämen so etwas vom Kuchen touristischer Einnahmen ab. „Wir leben vom Tourismus, wir haben kaum Industrie“, sagt Buddhi. „Das ist es, was wir bieten können: die Natur und die Berge.“
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Buddhi kommt aus der Gegend. Das Homestay nennt er sein „zweites Zuhause“. Er pendelt zwischen Barauli und dem Büro seines Arbeitgebers in Kathmandu. Er isst seinen Reis mit den Fingern, während er stolz von „seinem“ Homestay-Projekt erzählt. Uns bringt die junge Dorfbewohnerin Messer und Gabel. Ab und zu wirkt sie etwas tollpatschig, wenn sie etwa Tee nachschenkt. Buddhi entschuldigt sich dann. „Sie lernt noch“, erklärt er. Uns stört das nicht. Im Gegenteil: Bisher hatten sich die sympathischen, zurückhaltenden und unheimlich gastfreundlichen Bewohner des Dorfes schließlich größtenteils mit Viehzucht und Ackerbau auseinander gesetzt. Dass man da über Nacht keinen Knigge tauglichen Touri-Gastgeber abgeben kann, ist nur logisch. Und wer ein paar Nächte in einem Homestay bucht, der will ja gerade das: ein Abenteuer – fernab von Hotel und Luxus. Da ist die Dusche dann eben kalt. Da muss man dann abends eben Kröten daran hindern, in die eigene Hütte einzudringen. Das kann auch witzig und erfüllend sein. Buddhi nennt die erwähnten klassischen Touristen-Angebote „Rice-Chicken-Tour“. Dann lacht er. „Das sind ganz andere Erfahrungen, die man hier machen kann. Die Locals leben ja seit über 1000 Jahren hier. Ihre Kultur ist nur auf diese Weise erlebbar.“ Buddhi glaubt, dass auch seine Dorfkollegen von den Touristen lernen können. Ziel derlei Homestays sei es ferner, so berichtet Buddhi, die Akzeptanz und den Wohlstand der Locals zu fördern, ohne, dass darunter deren Traditionen und deren tägliches Leben leidet. Dass die Einheimischen vom neuen Angebot profitieren, zeigt sich schon allein daran, dass im Zentrum des kleinen Dorfes im Dorf, in dem wir Touristen untergebracht sind, ein schönes, wenngleich kleines Holzhaus erbaut wurde, in dem wir etwa unsere Mahlzeiten serviert bekommen. Ob sich die Einheimischen vom Trubel der Gäste gestört fühlen, Buddhi sagt nein.
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Begrüßt werden die Neuankömmlinge von den Mädchen des Dorfes mit einem traditionellen Tanz, Gesang und reichlich Blumen, am Ende bekommt jeder seinen „Tikka“ – diesen Farbtupfer auf die Stirn. An einem Tag begleitet uns eine Gruppe von Dorfbewohnern in den Dschungel, in den Nationalpark, wo wir unter anderem Nashörner und Elefanten zu sehen bekommen. Janak lädt uns tags darauf zu einem Spaziergang durch das Dorf ein. Janak ist ein ruhiger Mann, Mitte 50. Er grinst viel, spricht wenig. Buddhi fragt ihn bisweilen nach einer Pflanzen- oder Vogelart, Janak gibt die Antwort. Er wirkt weise. Er wirkt bescheiden. Janak besitzt eine Reis-Fabrik, wie er sagt. Später besuchen wir sein recht großes Haus, in dem die ganze Familie zusammen lebt – so wie das bei den Tharu üblich ist. Er ist – gemessen an seinen Nachbarn – wohlhabend. Janak besitzt reichlich Vieh und eine Maschine, die den Reis aus seiner Hülle befreit. Die Dorfbewohner müssen zu ihm kommen, um ihre Reisernte zu finalisieren.
Dass Indien die Zufuhr von Strom, Benzin und sonstigen Waren verhindert, schadet dem armen Land sehr. „Es sind schlechte Zeiten für den Tourismus“, sagt Janak. „Erst das Erdbeben und nun die Blockade.“ Doch sei das Volk bereit zu kämpfen, die Nepalesen seien ein stolzes Volk. „Wir haben nicht viele Möglichkeiten“, sagt Janak. Entweder, man gehe in die Stadt in eine der wenigen Fabriken – oder aber man bleibe sein Leben lang in seinem Dorf und lebe vom Vieh- und Ackerbau. Er sagt das ohne Wehmut. Manche schaffen auch den Schritt in den Tourismus. Bisher war das nur wenigen vergönnt. Das Homestay bietet für viele eine neue Chance.
Text: Marcel Schlegel
Fotos & Video: Marko Roth
Über die Autoren
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Clik here to view.Marko Roth (Website | Facebook)
Marko Roth ist ein 21-jähriger Reisefilmer aus Stuttgart. In seinen Videos will er nicht einfach nur Länder und seine Reisen zeigen, sondern vor allem auch die Geschichten der Leute und ihrer Kultur einfangen. Seine Website MarkoRoth.com bietet eine Plattform für Kreative, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Stimmungen und Geschichten zu erzählen. Gemeinsam mit seinem Team reist er um die Welt um neue interessante Menschen zu treffen und deren Geschichten erzählen zu können, frei nach dem Motto „As long as spirit and culture exist, there are stories to be told“.
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Clik here to view.Marcel Schlegel (Easywriters | 0711)
Marcel Schlegel (28 Jahre) ist Sportredakteur von Beruf, Medienwissenschaftler und PR-Mensch qua Studium – sowie Blogger aus Leidenschaft. Neben seiner Profession als Zeitungsschreiberling für diverse Blätter arbeitet er für diverse Blogs und schreibt über all das, woran er auch selber Freude hat: Sport, Musik, Lifestyle – und das Reisen.
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